Photo: Neil Conway from Flickr (CC BY 2.0)
Von Frank Schäffler, Geschäftsführer von Prometheus – Das Freiheitsinstitut
Als Friedrich August von Hayek 1974 der Ökonomienobelpreis verliehen wurde, schrieb der jüngste Preisträger Richard Thaler gerade seine Doktorarbeit über Verhaltensökonomie, die ihn später so populär machen sollte. Die Idee, dass der Mensch eine nutzenmaximierende Maschine sei, war lange die vorherrschende Denkrichtung in der Volkswirtschaftslehre. Thalers Verdienst, dieses falsche Bild des Einzelnen zu zerstören, hat die Schwedische Akademie der Wissenschaften jetzt gewürdigt.
Doch Vertreter der Verhaltensökonomie werden nicht zum ersten Mal mit diesem Preis gewürdigt. Vor 15 Jahren bekam Daniel Kahnemann bereits den Preis für seine Forschung auf diesem Gebiet. Schon Kahnemann widersprach vehement dem neoklassischen Paradigma eines „homo oeconomicus“, der alle Entscheidungen rational und ökonomisch trifft. Selbst Hayek hatte dies in seinen Arbeiten herausgearbeitet. Es gehört zur DNA der Ökonomen der Österreichischen Schule, deren wohl bekanntester Vertreter Hayek ist. Die Österreicher haben dem Konzept des „homo oeconomicus“ schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts widersprochen. Sie gehen davon aus, dass Wissen und Informationen immer subjektiv und verstreut sind und einem ständigen Wechsel unterliegen. Daher gibt es für Entscheider, seien es Konsumenten oder Unternehmer, nicht eine feste Wahrheit, sondern viele Möglichkeiten, da keiner umfassendes Wissen haben kann.
Daher kann auch niemand, keine Regierung und kein Parlament, vorhersagen, was die Zukunft bringt. Und da kollidiert Hayek mit Thaler fundamental. Thaler nutzte seine Erkenntnisse der irrationalen Entscheidungen des Einzelnen dazu, ein völlig neues Politikkonzept den Regierungen anzubieten, das er Nudging nennt. Dabei geht es darum, dass Bürger zu richtigem Verhalten angestupst (to nudge) werden. Nicht mehr Gesetze oder Verordnungen regeln die Grenzen des Zusammenlebens, sondern Methoden aus der Psychologie sollen Bürger zu richtigem Verhalten bringen. Dieses Anstupsen ist zur Mode moderner Regierungsführung geworden. Thaler beriet bereits Barack Obama in diesen Fragen. Der ehemalige britische Premierminister David Cameron richtete ein „Behavioural Insights Team” in der Downing Street 10 ein. Und auch Angela Merkel hat eine Gruppe im Kanzleramt, die sich um das sanfte Anstupsen der Bürger kümmert. Das Ziel ist, unterhalb der Gesetzgebung durch psychologische Maßnahmen das Verhalten der Bürger zu ändern.
Aus der Erkenntnis der Verhaltenspsychologie heraus, dass Menschen nicht immer das tun, was sie tun WOLLEN, werden also neue politische Konzepte gestrickt. Jetzt geht es nicht mehr darum, dass Bürger nicht das tun, was sie tun WOLLEN, sondern, dass sie nicht tun, was sie tun SOLLEN. Das mag harmlos klingen – wer hat schon etwas dagegen, wenn Autofahrer auf Autobahnen vor zu dichtem Auffahren durch Unfallbilder auf Hinweistafeln gewarnt werden. Doch welche Methoden und welche Maßnahmen eine Regierung ergreift, entzieht sich dabei in der Regel der Kontrolle des Souveräns. Welche Ziele die Regierung damit verfolgt, erst recht.
Hayek hat in seiner Dankesrede bei der Nobelpreisverleihung in Stockholm vor der Anmaßung von Wissen gewarnt. Er hat gerade seiner eigenen Zunft vorgeworfen, viel Elend mit ihren Empfehlungen an die Politik angerichtet zu haben. „In dem Glauben, dass Ökonomen die Kenntnis und die Macht besitzen, die Vorgänge in der Gesellschaft ganz nach unserem Gutdünken zu gestalten, eine Kenntnis, die wir in Wirklichkeit nicht besitzen, werden wir nur Schaden anrichten“, so Hayek. Doch nicht nur die Ökonomen haben dieses Wissen nicht, sondern auch Parlamente, Regierungen und Beamte haben dieses Wissen nicht. Niemand hat dieses allumfassende Wissen.
Deshalb ist Nudging als weicher Paternalismus nichts Harmloses, sondern ein Angriff auf die Autonomie des Menschen als Bürger, als Konsument und generell als Individuum. Prometheus – Das Freiheitsinstitut hat dazu im vergangenen Jahr eine Studie durch den deutschen Nudging-Experten Professor Jan Schnellenbach erstellen lassen, die als Fazit hat, dass das Konzept des Nudging, anders als von den Befürwortern behauptet, sehr wohl die Autonomie des Einzelnen einschränken kann, da Maßnahmen auch zur gezielten Manipulation genutzt werden können. Wer schützt die Bürger in einem Rechtsstaat davor, dass eine Regierung mit Methoden des Nudging an Parlament und Gerichten vorbei, Grundrechte einschränkt, wenn die Maßnahmen gar nicht im Detail bekannt sind? Man kann nur sagen: wehret den Anfängen.