Respektiert eine Politik

des „weichen“ Paternalismus

die Autonomie individueller Konsumenten?

Studie von Prof. Dr. Jan Schnellenbach

(Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg)

im Auftrag von Prometheus – Das Freiheitsinstitut

Fazit

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie können kurz in wenigen Punkten zusammengefasst werden. Erstens ist die in Teilen der Literatur vertretene Behauptung nicht haltbar, dass die vorliegende verhaltensökonomische Evidenz die Fähigkeit der Individuen zu autonomem Handeln infrage stellt. Diese Behauptung ruht auf einem sehr engen und anspruchsvollen Verständnis von Autonomie. Legt man stattdessen das in der Literatur gängige und hier in Abschnitt 2.1 vorgestellte Konzept von Autonomie als selbstbestimmtem Handeln und der Fähigkeit zur kritischen Reflexion eigener Ziele und Motive zugrunde, dann ist autonomes Handeln grundsätzlich auch für beschränkt rationale Individuen möglich.

Zweitens hängt die Möglichkeit zu autonomem Handeln jedoch nicht nur von den Fähigkeiten der Individuen, sondern auch von den Rahmenbedingungen ab, in denen sie agieren. Insbesondere Framing-Effekte können Autonomie einschränken, indem ihr gezielter Einsatz die Individuen so manipuliert, dass sie nicht auf der Grundlage ihrer eigenen Interessen und Motive handeln. Solange aber ein hinreichend intensiver Wettbewerb zwischen Anbietern herrscht, ist die Möglichkeit zu manipulativem und Autonomie infrage stellendem Framing stark eingeschränkt.

Drittens ist die Behauptung, „weiche“ paternalistische Entscheidungsarchitekturen erhielten die Entscheidungsfreiheit des Individuums, nicht allgemein zutreffend. Hierzu sind sowohl strenge Transparenzkriterien zu erfüllen, als auch der Appell an Gefühle und Instinkte der Betroffenen zu vermeiden und Informationen ausgewogen darzustellen. Nur sehr wenige der paternalistischen Mechanismen, die aktuell diskutiert werden, erfüllen all diese Kriterien. Viertens sind manipulative paternalistische Interventionen nicht nur auf der unmittelbaren Entscheidungsebene problematisch, sondern können darüber hinaus auch tiefergehende Auswirkungen auf die Veränderung individueller Präferenzen haben und auch auf diesem Wege die Autonomie der Individuen beeinträchtigen.

Fünftens ist die Behauptung zurückzuweisen, beim neuen Paternalismus handele es sich um einen reinen Mittel-Paternalismus, der die Individuen ungehindert ihre eigenen Ziele verfolgen läßt. Beispiele zeigen, wie die entsprechenden Instrumente genutzt werden, um einen echten Ziel-Paternalismus zu implementieren. Sechstens ist festzuhalten, dass an die Stelle von paternalistischen Mechanismen zahlreiche private Mechanismen zum Umgang mit Entscheidungsschwächen treten könnten, die sowohl Freiwilligkeit als auch Passgenauigkeit bei heterogenen Interessen sicherstellen.

Siebtens ist schliesslich festzuhalten, dass die Bedeutung von Umfragedaten, in denen sich teils eine Mehrheit der Befragten für paternalistische Mechanismen ausspricht, nicht überschätzt werden darf. In den wenigen experimentellen Studien, die es zum Thema bisher gibt, werden für die Betroffenen die tatsächlichen Kosten paternalistischer Mechanismen deutlich transparenter als in Umfragen. Folglich geht die Tendenz bisher auch dahin, dass diese in experimentellen Studien skeptischer eingeschätzt werden als in Umfrageanalysen.